Beschreibungen:
Aborigines (englisch, nach
lateinisch Aborigines: Urbewohner), zusammenfassende Bezeichnung für die
Einwohner Australiens, die den Kontinent bei Ankunft der Europäer besiedelten. Von
den 280 000 Aborigines (gegenüber circa 100 000 gemischter Abstammung) lebten
Anfang der achtziger Jahre nur noch wenige in traditionellen Gruppen, so dass
die überlieferte Kultur der Aborigines vom Aussterben bedroht ist. Die
traditionelle Kultur wird vom Glauben an eine mythische Vorvergangenheit, die
Traumzeit, geprägt, die das Alltagsleben bestimmt und in Kulthandlungen, Sitten
und Bräuchen tradiert wurde. Kultgegenstände, die so genannten Tjuringas,
verkörpern die Schaffenskraft mythischer Vorfahren; diffizile
Verwandtschaftsbeziehungen und -Strukturen regeln das tägliche Miteinander;
Clans leiten ihre Herkunft von einem Totem ab. Oberste Entscheidungsinstanz ist
ein Rat, der aus den Ältesten des jeweiligen Verbandes besteht.
Tanz, Musik und Malerei sind
feste Bestandteile der Kultur. Für die Verzierung ihrer Gebrauchsgegenstände
(Taschen,
Speere etc.) verwenden die Aborigines nur
Erdfarben, vor allem Ockertöne. Für Kulthandlungen werden neben den
Tjunngas auch Körperschmuck
gefertigt und es werden Bodenbilder aus Sand und Federn hergestellt.
Felsenbilder illustrieren
die Vorstellung der Aborigines von ihrer mythischen Herkunft.
Vorgeschichte
Nach neueren
archäologischen Erkenntnissen reichen die Wurzeln der Aborigines-Kultur in
Australien mehr als 40 000 Jahre zurück, manche Forscher gehen sogar von 60 000
Jahren aus. In einer oder mehreren Einwanderungswellen erreichten die
Aborigines das australische Festland von Indonesien und/oder China aus. Der
Bumerang und der Wurfspeer wurden vermutlich vor etwa 10 000 Jahren erfunden.
Die Weiterentwicklung der Holzwerkzeuge und anderer inzwischen „untergegangener
Kulturgegenstände (z. B. Kopfschmuck) lässt sich anhand von Felsbildern
rekonstruieren. Die Aborigines nutzten Stein und Holz, aber keine Metalle. In
verschiedenen Regionen Australiens haben sich Felszeichnungen erhalten:
Angefangen von stilisierten und symbolischen Einritzungen bis hin zu farbigen
Figurendarstellungen im so genannten Röntgenstil, also mit sichtbarem Skelett
(im Norden) bzw. lebendigen Jagdszenen (im Osten und Westen). Andere Funde
belegen einen Wandel in den Begräbnisritualen bzw. im Ernährungsverhalten.
Ursprünglich teilten sich die Bewohner des Kontinents in mehr als 250 Ethnien
mit mehreren hundert unterschiedlichen Sprachen, die untereinander sehr stark
abwichen. Heute existieren nur noch rund 50 dieser Sprachen. Die Tradierung von
Liedern, Geschichten, Tänzen, Zeremonien, Bildern bzw. Träumen der eigenen
Vorgeschichte erfolgte nach komplexen Regeln. Mit den Bewohnern der Inselgruppen
in der Torresstraße trieben die Aborigines
regen Handel. Durch archäologische Funde ist nachgewiesen worden, dass
die Bevölkerung vor etwa 2 000 Jahren stark angewachsen ist; neue effektivere
Methoden zur Nutzung der natürlichen Ressourcen wurden eingeführt; es kam zum
Austausch von Gütern über immer weitere Entfernungen. Vom Nordosten hatten
melanesische Gruppen Australien erreicht, die mit ihren Kanus beiderseits
der Kap - York-Halbinsel beträchtliche
Entfernungen zurücklegen konnten. Die Melanesier führten unterschiedliche
Waren, darunter verbesserte Fischereigeräte
und Trommeln,
aber auch Lieder und Traumgeschichten mit sich. Aus dem Nordwesten kamen die
ersten seetüchtigen Segelschiffe, deren Besatzung aus indonesischen Fischern
bestand. Diese tauschten Tabak, Eisen und Glas gegen das Recht, in den
Territorien der Aborigines zu fischen. Die Kontakte mit Fischern fanden auf den
Kunstwerken der Aborigines ihren Niederschlag.
Kultur
Die üppige
Vegetation der Nord- und Ostküste Australiens ermöglichte eine relativ hohe
Bevölkerungsdichte, während in den Wüstengebieten Zentralaustraliens die
Streifgebiete der jeweiligen Gruppen sehr groß sein mussten, um durch Sammeln
und Jagen die Ernährung sicherstellen zu können. Diese Gruppen benutzten häufig
nur Windschirme als Unterschlupf. Wie bei nomadisierenden Gruppen üblich, war
der materielle Besitz auf das allernotwendigste reduziert. Geräte waren so
konstruiert, dass sie für unterschiedliche Aufgaben benutzt werden konnten.
Die
Wanderungen der Aborigines dienten aber nicht ausschließlich dem
Nahrungserwerb. Auf ihren Traumpfaden besuchen sie die Orte, die ihre
mythischen Vorfahren (siehe Kosmogonien) schufen, um die ordnungslose Welt zu
strukturieren und zu gestalten. Bis heute sind diese Orte für die Aborigines
heilige Stätten, Beweise der Existenz der Vorfahren und damit für die Ordnung
der Welt. Im Weltbild der Aborigines markieren einzelne geographische Punkte
historisch-mythische Ereignisse. Durch den Besuch und das damit verbundene
Ritual, häufig wurde lediglich ein totemistisches Bild in den Sand gezeichnet,
vergegenwärtigen sie sich ihre Geschichte und bewahren so ihre Kultur. Das
ganze Land ist mit den Traumpfaden, den Wanderwegen aus der Traumzeit, ihrer
mythischen Vorzeit, überzogen. Auf diesen Wanderungen trafen unterschiedliche,
oft weit voneinander entfernt lebende Gruppen aufeinander und vergegenwärtigten
gemeinsam ganze Mythenzyklen durch dramatische Aufführungen. So stand das
mythische, aber auch das in diese Mythologie eingewebte praktische Wissen der Aborigines in einem direkten Zusammenhang mit den
sakralen Wegen und Orten. Eine einzelne Gruppe konnte nicht die reichhaltige
Mythologie allein erinnern und erhalten, der geographische Zusammenhang war identisch
mit dem kulturellen. Die zeremoniellen Zusammenkünfte, die überall auf dem
australischen Kontinent stattfanden, dienten aber auch dem Informations- und
Warenaustausch. Dabei wurden auch Hochzeiten arrangiert und Streitigkeiten
beigelegt.
Da die
Aborigines keine Schrift entwickelten, war die mündliche Überlieferung (z. B.
durch Tänze) von großer Bedeutung. Diese Rituale vermittelten Lebensregeln,
Schöpfungsmythen und wichtige Ereignisse von einer Generation zur nächsten.
Geschichtliche
Entwicklung seit dem Eintreffen der Europäer
Ende des 18.
Jahrhunderts begannen europäische Siedler, das Land zu kolonialisieren. Die
weißen Europäer konfrontierten
die Aborigines
mit dem Eigentum an Grund und Boden, das diesen unbekannt war. Siedler,
Goldsucher und Viehzüchter vermehrten ihr Land und ihr Geld; die Streifgebiete
der Aborigines wurden dadurch eingeschränkt, man drängte sie gewaltsam immer
mehr in unwirtliche Gebiete ab, so dass sich ihre ökonomischen
Lebensbedingungen permanent verschlechterten. Ein lang andauernder Prozess der
Ghettoisierung setzte ein. Als die Aborigines begannen, sich gegen diese
Landnahme zu wehren, verübten die Kolonisatoren einen Völkermord (siehe
Genozid) an den Erstbewohnem des Landes. Auf Aborigines wurden regelrechte
Jagden veranstaltet, sie wurden vergiftet und dem Verhungern preisgegeben. Die
Überlebenden wurden
unterworfen,
zwangsassimiliert oder mussten am Rand europäischer Siedlungen und
Missionsstationen leben, wo sie
„zivilisiert“ und
missioniert wurden. Andere wurden zur Arbeit auf den Farmen gezwungen. Viele
Aborigines starben
durch eingeschleppte
Krankheiten oder erlagen dem Alkohol. Die Zahl der für das Jahr 1788, den Beginn der europäischen
Besiedlung, geschätzten 400 000 Aborigines
ging beständig zurück. Ideologisch legitimiert wurde die Unterwerfung
und Ausrottung der Ureinwohner durch rassistische bzw. sozialdarwinistische
Theorien. Zudem zerstörten nach Australien importierte Tiere (Kaninchen,
Schafe, Rinder etc.) die ursprüngliche Vegetation und damit die natürliche
Umgebung
der Aborigines. Kamen die
Aborigines in europäische Siedlungen, so waren sie der dort herrschenden
Siedlungspolitik ausgeliefert; so leben auch heute noch viele Aborigines als
Viehtreiber, Hufs- oder Farmarbeiter. Die Aborigines durften
ihre Sprache nicht mehr sprechen, ihre Zeremonien
und Gebräuche wurden verboten. Auch war ihnen der Kontakt zu anderen
Aborigines untersagt.
Familien wurden auseinandergerissen, Kinder in Schlafsälen zusammengelegt oder
zur Adoption freigegeben. In manchen Regionen allerdings war das Feiern großer
zeremonieller Zusammenkünfte weiterhin erlaubt.
In sämtlichen Gebieten aber wurden die
Wanderbewegungen der Aborigines kontrolliert. Die einzelnen Gruppen waren
isoliert wie nie zuvor. Zur physischen Vernichtung kam so die Zerstörung der
kulturellen Identität, denn ohne Zugang zu den sakralen Orten der
Traumzeit-Mythologie erstirbt das traditionell auf ständige Erneuerung im Ritus
angelegte Weltbild der Aborigines, ohne dass es durch ein vergleichbares
ersetzt werden kann. Katastrophale Folgen hatte auch der Abbau von
Bodenschätzen (etwa Gold und Uranerz), durch den viele Kultstätten entweiht
wurden. Insgesamt zeigen sich viele Parallelen zum Umgang mit Indianern in
Nord- und Südamerika. Durch die Europäisierung der Aborigines-Kultur kam es zu
Akkulturationsphänomenen, etwa im Bereich der Musik. So wurde Gospel-, Country-
oder Bluesmusik mit traditionellen musikalischen Elementen vermischt.
In der bildenden Kunst kamen neue Materialien
(etwa Acryl) und Verfahren selbst bei der Darstellung traditioneller Motive zum Einsatz. In den
dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine Protestbewegung,
die sich seither auf die kulturelle Identität der Aborigines beruft und
versucht, die Diskriminierung der Aborigines zu bekämpfen. Die große Mehrheit der
weißen Bevölkerung Australiens verdrängte oder rechtfertigte allerdings die
Ausrottung der Ureinwohner. 1967 wurde erstmals die Gleichstellung aller
Australier beschlossen und den Aborigines die vollen Bürgerrechte zuerkannt. 1985 wurde der Uluru-Nationalpark
zurückgegeben. 1992 wurde anerkannt, dass die Aborigines begründete Landansprüche geltend machen
können. Damit wurden ihre Ansprüche als Erstbewohner des Kontinents offiziell
anerkannt. Zuvor galt ein Großteil des Landes als terra nullius (Niemandsland),
Durch den Native Title Act aus dem Jahr 1993 sind Ausgleichszahlungen für
Gruppen vorgesehen, die keine Landansprüche geltend machen konnten (siehe Australien: Landrechte der
Aborigines).
Das komplexe Gesetz
ermöglicht es, Landansprüche (Native Titles) aus der Zeit vor der Kolonisation
geltend zu machen. Nachgewiesen werden müssen dauerhafte Verbindungen der
Aborigines zu dem von ihren Vorfahren besiedelten Grund und Boden. Ureinwohner
haben nach Mabo`s Law einen Rechtsanspruch auf Land, das sich im Staatsbesitz
befindet, ausge-
nommen landwirtschaftlich
genutzte Flächen. Von Bergwerksgesellschaften gepachtetes, staatliches Land
muss erst nach Ausbeutung der Mine zurückgegeben werden, neue Minen dürfen erst
nach (häufig langwierigen, für die Bergwerksbetreiber
sehr teuren) Verhandlungen
begonnen werden. Ein Streitfall ist zum Beispiel die Öffnung einer zweiten
Uranmine auf dem Gebiet des Kakadu Nationalparks.
Auch sollte eine neue
Sozialgesetzgebung die Benachteiligung der Aborigines durch Wohnungs- und
Erziehungsprogramme beseitigen. Im Sommer 1996 beschloss die neue liberal-konservative Regierung Australiens,
die Mittel für den Dachverband der Aborigines, Atics, drastisch zu kürzen.
Prominente Bürgerrechtler schätzen, dass 2 000 Einrichtungen für Aborigines
ihre Arbeit einstellen müssen und sprechen in diesem Zusammenhang von
„institutionalisiertem Mord“. Die lnhaftierungsrate ist bei Aborigines 27-mal,
die Arbeitslosenquote sechsmal höher als bei anderen australischen Bürgern. Die
Lebenserwartung ist deutlich geringer als im Landesdurchschnitt. Aborigines
machen heute nur noch 1,5 Prozent der australischen Bevölkerung aus.